Anders und falsch

So wie alle Menschen anders aussehen, denken sie auch voneinander abweichend. Wir können erst bei Akzeptanz und Verständnis für gegenseitige Unterschiede miteinander in Eintracht und Frieden leben.

15,024 Abonnenten

In Korea gelten Krähen als Pechvögel, in England jedoch als Glücksbringer. Die Japaner halten beim Essen ihre Reisschüssel mit einer Hand, aber in vielen anderen Ländern lässt man sie auf dem Tisch. In manchen Staaten fahren die Fahrzeuge auf der linken Straßenseite und in anderen auf der rechten. Sehr viele Länder benutzen bei einer Mahlzeit Messer und Gabel, während andere ein Paar Essstäbchen als Tischbestecke dazu verwenden oder mit bloßen Händen essen.

Die Völker rund um den ganzen Globus haben unterschiedliche Sprachen, Klimazonen, geografische Merkmale, historische Hintergründe und Nahrungsmittel. Ebenso unterscheiden sich die Kulturen von einem Land zum anderen. Man kann nicht sagen, dass eine bestimmte Seite diesbezüglich falschliegt. Ebenso sehen alle Menschen anders aus. Und der jeweilige Unterschied wird jedoch nicht selten zu einer Ursache für Konflikte in zwischenmenschlichen Beziehungen. Selbst enge Familienmitglieder und Gleichgesinnte vermögen die beidseitigen Unterschiede nicht zu akzeptieren, sodass sie sich dadurch schließlich entfremden oder miteinander in Meinungskonflikte bzw. Gegensatz geraten. Welche Anstrengungen müssten wir dann zur vernünftigen Überwindung solcher sich schleichend anbahnenden Lebenskrisen unternehmen?

Anders bedeutet falsch?

Wenn etwas falsch ist, dann stimmt es nicht bzw. entspricht nicht den Tatsachen. Das ist zum Beispiel so, wenn man sagt: Eins plus eins ist gleich drei. Oder wenn man darauf besteht: Die Hauptstadt Australiens ist Sydney. Die Erde rechteckig ist usw.

Hingegen bedeutet das Adverb anders, dass die zwei zu vergleichenden Objekte nicht ähnlich sind. Wenn jemand beispielsweise ein Zeichen O sieht, sagen manche Leute, es sei die Zahl Null, wobei andere der Meinung sind, es gleiche einem O aus dem englischen Alphabet, einer Zeichenfigur oder einem koreanischen Konsonantenbuchstaben. Das ist zwar nicht falsch, aber ihre Perspektiven sind unterschiedlich.

Manchmal urteilen wir jedoch unbewusst, dass „anders = falsch“ ist. Wenn ich „O“ als eine Zahl sehe, denke ich, dass andere Leute es selbstverständlich auch als eine Zahl betrachten sollten, weshalb ich Leute, die behaupten, es sei eine Zeichenfigur, verschmähe und kritisiere. Wenn Sie die Meinungsverschiedenheit als eine Frage von richtig und falsch ansehen, fragen Sie sich vielleicht: „Warum verhält sich diese Person so?“, „Das verstehe ich wirklich nicht“ oder „Warum gibt es solche Leute?“ Übrigens setzen Sie sie mit diffamierenden Äußerungen in ihrem Ansehen herab, beim Vergleichen mit anderen: „Warum machen Sie das anders als Ihr älterer Bruder?“, oder „Warum helfen Sie nicht bei der Hausarbeit wie andere Ehemänner?“ Aus diesem Grund denken Sie, dass sich die andere Person auf dem Holzweg befinde, und versuchen, sie zu korrigieren und sie dazu zu bringen, Ihrer Meinung zu folgen.

Unter acht Milliarden Menschen ist niemand gleich; sogar Zwillinge, die am selben Tag und beinahe zur selben Zeit geboren werden, weisen viele Unterschiede auf. Wir alle kommen mit unterschiedlichen Genen, Gesichtern, Körpern, Gesundheitszuständen, Temperamenten usw. zur Welt und wachsen in unterschiedlichen Lebensumfeldern auf und werden von unterschiedlichen Eltern erzogen. Nicht nur die Erfahrungen und Kenntnisse, die wir während unserer Kindheit gesammelt haben, sondern auch die Menschen, denen wir begegnet sind, sind vielfältig. Sie variieren je nach Situation, so wie Regenschirmverkäufer die Regenzeit herbeisehnen und sich über regnerische Tage freuen, wohingegen Strohschuhverkäufer über trockene Tage mit viel Sonnenschein. Es ist also ganz natürlich, dass jeder Mensch eine andere Denkweise und einen anderen Lebensstil hat.

Denken Sie daran, dass die andere Person nicht falschliegt, sondern anders ist! Da Sie über ihr vergangenes Leben nicht Bescheid wissen, kann das, was für Sie selbstverständlich ist, für die andere Person unangenehm sein; und was für sie schon längst gang und gäbe ist, kann Ihnen Unbehagen bereiten. Wenn Sie Anderssein als falsch betrachten, können Sie den Teufelskreis aus Zwietracht, Konflikten, Vorurteilen und Diskriminierung nicht durchbrechen.

Die Psychologie, Menschen am liebsten zu mögen, die Ihnen ähnlich sind

Professor Randy Garner von der Sam Houston State University in Texas, USA, wählte Versuchspersonen aus und schickte ihnen eine E-Mail mit der Bitte, den Fragebogen auszufüllen und ihn per Post zurückzusenden. Hierbei wurden die Testpersonen in zwei Gruppen eingeteilt: Gruppe A markierte die Namen der Absender mit Namen, die denen der Empfänger ähnelten, und Gruppe B markierte die Namen mit Namen, die sich völlig von den Empfängernamen unterschieden. Infolgedessen antworteten doppelt so viele Personen aus der Gruppe A wie aus der Gruppe B auf seine Aufforderung.

Dr. Carolyn Parkinson von der University of California, USA, zeigte die Videos, die eine Reihe von Genres abdeckten (z. B. Nachrichten, Comedy-Clips, Musiksendungen und Dokumentationen), 42 miteinander vertrauten Personen und zeichnete deren Gehirnaktivität mittels fMRI (funktioneller Magnetresonanztomografie) auf. Die vergleichende Analyse und Interpretation: Je näher sich die Personen standen, desto ähnlicher reagierten sie auf die Videos. Das bedeutet, dass sie die Welt auf ähnliche Weise sehen.

Wie das Sprichwort sagt: „Gleich und gleich gesellt sich gern“, fühlen sich Menschen im Allgemeinen mit Menschen wohl, die ihnen ähnlich sind und mit ihnen zusammen sein wollen. Menschen mit ähnlichen Ansichten, Vorlieben und Interessen zu bevorzugen und ihnen zu vertrauen, ist fast instinktiv. Selbst wenn Sie jemanden zum ersten Mal treffen, wird es leicht sein, sich einander anzunähern, wenn Sie einen gemeinsamen Nenner entdecken, was man „Ähnlichkeitseffekt“ nennt.

Warum tritt solches psychologische Phänomen bei Menschen auf? Weil jeder von anderen für seine Worte und Taten Unterstützung und Sympathie erhalten möchte. Es ist wahrscheinlicher, dass Sie sich in jemanden hineinversetzen, der Ihnen ähnlich ist, als in jemanden, der weit von Ihnen entfernt ist, sodass Sie sich sicher fühlen, Ihre Gedanken mit Selbstvertrauen und Überzeugung auszudrücken, zumal Sie dazu auch von dem Gefühl durchdrungen sein können sein, dass Ihre Logik durchaus gerechtfertigt und anerkannt sei.

Das kommt von dem Wunsch, dass andere so denken wie Sie und die Welt aus derselben Perspektive sehen wie Sie selbst. Wenn sich dies jedoch verhärtet, verfällt man leicht in eine egozentrische Denkweise, weil man sich im Glauben wähnt, dass die eigenen Gedanken und Gefühle immer richtig, wenn nicht ohne Fehl und Tadel, seien. Sie können sich auch die Gewohnheit zu eigen machen, die Gedanken und Gefühle anderer Menschen für grundfalsch zu halten.

Zu hoffen, dass andere so sind wie Sie, dann läuft Ihr Herz doch hinter der Gier her, und wenn Sie mit dieser Einstellung durchs Leben kommen, so werden Sie meistens Missverständnisse und Konflikte heraufbeschwören. Nur weil eine Person recht hat, heißt das nicht unbedingt, dass die andere Person unrecht hat. Falls Sie Unterschiede respektieren und Vielfalt annehmen, können Sie Gleichgewicht und Harmonie erreichen, ohne voreingenommen zu sein.

Der Prozess des Verstehens von Unterschieden: Zuhören und Einfühlen

Wenn Menschen einer Meinung sind, fühlen sie sich weniger gestresst und streitsüchtig und können problemlos eine gute Beziehung aufrechterhalten. Jedoch können wir nicht immer eine gemeinsame Marschrichtung haben. Das Problem ist nicht, dass wir unterschiedlich sind, sondern dass wir die Unterschiede nicht richtig verstehen noch gelten lassen.

Obwohl Sie wissen, dass anders nicht falsch bedeutet, ist es nicht einfach, sich damit einverstanden zu erklären, wenn Sie sich durch die Andersartigkeit Ihres Gegenübers unwohl fühlen. Der Grund, warum Sie unverblümt sprechen, wenn Sie der anderen Person nicht zustimmen, ist, dass Sie ständig denken: „Sie liegt falsch.“ Wenn diese Art von Gedanken in Ihre Sprache oder Mimik eingebettet sind, werden Sie die andere Person beleidigen, was zu Konflikten führt.

Wenn im Zuge der sich anbahnenden Gegensätze und Konflikte ein gespanntes Verhältnis beginnt, negative Gedanken und Emotionen in Ihnen auszulösen, halten Sie sie zunächst unter Kontrolle! Hören Sie danach Ihrem Gegenüber aufmerksam zu! Um Unterschiede hinzunehmen, ist der Prozess des Verstehens erforderlich. Beurteilen Sie die andere Person nach Ihren eigenen Maßstäben und nur anhand dessen, was Sie sehen, denken Sie vielleicht: „Sie ist so eine Person. Was kann ich da bloß tun? Nun gibt es hier keinen anderen Weg, als gezwungenermaßen das Verständnis für sie aufzubringen.“ Diese Haltung ist jedoch kein Akt des Verstehens, denn echtes Verstehen beginnt mit offenen Ohren, basierend auf dem Respekt vor der anderen Person.

Zuhören ist eine wichtige Grundlage für das Verständnis des Gegenübers. Die Umstände und Situationen der anderen Person unterscheiden sich von den Ihrigen. Wenn Sie also der anderen Person kein Gehör schenken, können Sie nicht verstehen, welche Botschaft sie zu vermitteln versucht. Viele Menschen denken, dass es einfach sei, ganz Ohr zu sein, und meinen, anderen gut zuzuhören, wobei sie jedoch oft den Fehler machen, bloß teilweise das anzuhören, was Ihnen aufgrund Ihrer Wertvorstellung und Denkweise hörenswert zu sein scheint.

Wenn Sie der anderen Person aufmerksam zuhören und sich in ihre Lage versetzen, werden Sie sogar ein bisschen besser verstehen können, warum sie so sagt und handelt, und Sie werden vielleicht eine Menge Dinge entdecken, die Sie von ihr lernen und in die Sie sich einfühlen können. Wenn Sie der anderen Person geduldig Gehör geschenkt haben, urteilen Sie nicht sofort über sie noch äußern Sie Ihre eigene Meinung, sondern nehmen Sie sie so, wie sie ist, indem Sie sagen: „Das denken Sie vielleicht“ oder „Ich kann verstehen, wie Sie sich fühlen.“ Wenn Sie die andere Person so betrachten, wie sie ist, und versuchen, die Unterschiede zu begreifen, und dies Ihre Beziehung verbessert, wäre es dann nicht die Mühe wert?

Es gib eine Redensart: „Ein Edelmann strebt zwar Einmütigkeit mit anderen an, obwohl er eine andere Denkweise als sie hat.“

Nur eine perfekte Übereinstimmung unter Familienmitgliedern ist kein Schlüssel zu einem harmonischen Familienleben. Ein Leben im Geist der Einheit und Eintracht bedeutet, gegenseitige Gedanken anzuerkennen und Mitgefühl füreinander zu haben sowie Verständnis für Unterschiede aufzubringen und sie anzunehmen, wenn Meinungsverschiedenheiten bzw. Streitereien in der Familie auftauchen. Darüber hinaus können wir kein Familienmitglied ausschließen, nur weil es Unterschiede gibt. Bei der Feststellung der Unterschiede sollten wir sie verstehen und hinnehmen, was eine wahre Familie ausmacht, nicht wahr?